Römisches Erbe: Kohortenkastell “Alteburg-Arnsburg”

Nur Wenige wissen, dass Lich eine Weltkulturerbe-Stadt ist: zwischen Kloster-Arnsburg und Muschenheim liegt auf einer Hochfläche – 15 m über der Mündung des Welsbach – das römische Kohortenkastell “Alteburg-Arnsburg”, das seit 2005 als Abschnitt es Obergermanischen-Raetischen Limes zum UNESCO Weltkulturerbe gehört. Die Anlage wurde um das Jahr 90 unter Kaiser Domitian (unter ihm erreichte das Römische Reich seinen Zenit) als Holz-Erde-Kastell errichtet und in der Mitte des 2. Jahrhunderts als Steinkastell mit rechteckigem Grundriss – ca. 185 m lang und 161 m breit – ausgebaut. Die Besatzung des Kastells waren nacheinander drei unterschiedliche, teilweise berittene Kohorten von je 500 Mann. Legionäre waren nicht stationiert, sondern Hilfstruppen aus Aquitanien (Südwest-Frankreich) und Dalmatien, die später durch Männer aus den heimischen Provinzen ergänzt wurden. Besetzt blieb das Kastell bis zum Fall des Limes um das Jahr 260.

2020 wurde das 3D-Aluminiumsandguss-Geländemodell – geschaffen von den Mitarbeitern der Firma Tural in Wiesbaden – in einer Freierstunde eingeweiht. Das Modell zeigt das mit seinen 2.9 Hektar fast an die Saalburg heranreichende Kohorten-Kastell, das zugehörige Vicus (Lagerdorf), die beiden Badehäuser, das Amphitheater und das riesige Gräberfeld an der Römerstraße in Richtung Muschenheim.

Real wurde das Gelände nur in Teilen ausgegraben und vor allem über geophysikalische Prospektion (Bodenradar) erschlossen. Um aber den jährlich 3.500-4.000 Besuchern, die auf dem Kulturhistorischen Wanderweg Muschenheim am Kastell vorbei kommen einen besseren Gesamteindruck von den ehemaligen Dimensionen des Kastells zu vermitteln, hatte Roland Jockel von der Limes-Stiftung Lich die Idee für das Geländemodell. Die Umsetzung zog sich 4 Jahr hin und kostete dann mit Prospektion (die Erkundung und Erfassung von archäologischen Stätten in einem bestimmten Gebiet) 27.400 €, die von der Archäologischen Gesellschaft Hessen und der Bürgerstiftung Mittelhessen getragen wurden.

Römer-Kenner und Limes-Führer Ernst-Otto Finger berichtete auf der Feier detailreich und gespickt mit einigen Witzen aus der römischen Geschichte in der Umgebung von Lich.
Schon vor dem Limes-Bau hatten die Römer die Wetterau erobert. Ca. 400 m nördlich des Kastells zeigten sich auf Luftbildern Gräber in 3 großen Erdlagern, die vermutlich schon vor Christi Geburt errichtet wurden. Nach der verlorenen Schlacht im Teuteburger Wald im Jahr 9 wurden die Römer zunächst hinter den Rhein zurückgedrängt, um dann etwa 83.90 in die Wetterau zurückzukehren, den Limes und bei Lich das oben beschriebene Holz-Erde-Kastell zu errichten. Im 2. Jahrhundert wurden die Umfassungsmauern und einige Innenbauten wie Stabsgebäude, Kommandanten-Wohnhaus und Speicher in Stein ausgeführt. Im Verlauf der Kastellmauer ließen sich 4 Tore und 14 Türme belegen. Die Tore waren wie damals üblich jeweils mit zwei Türmen gesichert. Das Kastell schützte einen wichtigen Zugang aus der Provinz Obergermanien in die germanischen Siedlungsgebiete im Norden. Durch die Lage auf der Hochfläche konnten große Abschnitte des rund 1,5 km entfernten Limes gut eingesehen werden.
Das Vicus war fast vollständig von einer Stadtmauer umgeben, was nicht der normalen römischen Bauweise entspricht – und damit einmalig ist. Hier wohnte die 500 Mann starke, berittene Besatzung mit ihren Familien, inklusive bis zu 160 Pferden. Es gab Gaststätten, Handwerksbetriebe und Händler boten ihre Waren feil.
Das Lager wurde von 4 Hauptstraßen durchzogen und auf den Luftbildern sind Fundamente von Tempeln und Heiligtümern zu erkennen. Südöstlich vom Kastell wurde ein Amphitheater mit rund 31 m Durchmesser gefunden. In der Nähe des Südtores lag eine Therme. Eine Badeanlage gab es bei allen Kastellen, sie stellte das Zentrum der soldatischen Freizeitgestaltung dar, denn Hygiene war für die eng zusammengepferchten Soldaten wichtig. Es gab heiße sowie kalte Becken, ein Schwitzbad und auch einen Ruheraum – so wie wir das aus heutigen Saunen kennen.
Das alles wurde mit einem Feuer im Untergeschoss für eine Unterboden- und Wandheizung beheizt. Hinter dem Südtor des Vicus finden sich dann ausgedehnte Gräberfleder.

In den 40 Hügelgräbern, die zwischen 1918 und 1920 fast vollständig untersucht wurden, fanden sich z.B. ein Schwert aus der frühen Eisenzeit und andere Grabbeigaben aus 1.500 Jahren. Das Hügelgrab 35 enthielt eine reiche Keramik-ausstattung und sensationelle Objekte aus Bronze, wie ein Schwert und ein Rasiermesser.

Direkt an das Kastell angrenzend wurde eine Villa Rustica (Landgut) entdeckt, die wohl die Versorgung der Besatzung sicherstellte. Die Lage ist einmalig, da normalerweise rund um die Kastelle extra Freiflächen für etwaige Kampfhandlungen angelegt wurden.
Weiter hervorzuheben ist das durch Luftbilder gefundene Kleinkastell “Arnsburger Wald” an den Arnsburger Teichen und das bereits 1883 entdeckte Kleinkastell “Langsdorf”.
Die für römische Befestigungen unübliche Doppelpalisade, zwischen der Wetter bei Lich und der Horloff bei Hungen, gibt den Archäologen weiterhin Rätsel auf. Am Limesknick am Kolnhäuser Kopf in der Nähe des heutigen Golfplatzes können die Mauern eines römischen Wachturms bestaunt werden. Den von einem Privatmann mit rund 70.000 € wieder aufgebauten Limes-Aussichtsturm “Am Wingert” in der Gemarkung Muschenheim können Besucher sogar besteigen. Oben angekommen werden sie mit einem einmaligen Rundumblick auf die Wetterau inklusive Münzenburg belohnt.

Der Boden bei Muschenheim ist nach wie vor eine “Wundertüte” mit vielen unentdeckten Geheimnissen. Noch immer wird mit gesonderter Erlaubnis des Amtes für Denkmalpflege im Boden nach Artefakten gebuddelt. So kam im Gräberfeld erst kürzlich durch Zufall das Grab einer hochgestellten Persönlichkeit, vielleicht von einem Centurio des Kastells, wieder ans Tageslicht.

Quelle: Gießener Anzeiger, 19. 10. 2020 (rrs) Römisches Erbe wird sichtbar

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